Rudolf Brandner

Rudolf Brandner, Was ist und wozu überhaupt - Philosophie? Vorübungen sich verändernden DenkensWas ist und wozu überhaupt - Philosophie?- Vorübungen sich verändernden Denkens. 179 S., Passagen Verlag, Wien 1992.

Es ist längst zu einer fraglosen Selbstverständlichkeit der Gegenwartsphilosophie geworden, im Hinweis auf verschiedene «Ansätze» des Philosophierens jede Auseinandersetzung um das Philosophieren schon im «Ansatz» zu ersticken. Die Frage nach der Philosophie, wie Brandner sie stellt, versucht demgegenüber, das im «Ansatz» übersprungene Grundlegungsproblem des Denkens zu thematisieren und einer Auseinandersetzung um die geschichtliche Situation der Moderne zugänglich zu machen.

Rudolf Brandner, Warum Heidegger keine Ethik geschrieben hatWarum Heidegger keine Ethik geschrieben hat. 154 S., Passagen Verlag, Wien 1992.

Kann es in der geschichtlichen Situation, die von Nietzsche und Heidegger als «Nihilismus» diagnostiziert wurde, eine «Ethik» geben, die mehr ist als ein leeres moralisches Postulieren?- Oder muß demzuvor nicht zuallererst das Ethos des Menschseins wieder neu geklärt werden? Aber wie – wenn nicht durch eine philosophische Grundlagenbesinnung? Brandner versucht zu zeigen, daß genau dies das Anliegen von Heideggers Denken ist, das deshalb gründlicher als alle «Ethik» auf die geschichtlichen Bedingungen ihrer Möglichkeit reflektiert und damit an Hegels Begriff der Sittlichkeit als der geschichtlichen Wirklichkeit einer Zeit anschließt.

Rudolf Brandner, Heidegger Sein und Wissen. Eine Einführung in sein DenkenHeidegger. Sein und Wissen. Eine Einführung in sein Denken. 424 S., Passagen Verlag, Wien 1993.

Brandners Leipziger Heidegger-Vorlesungen gehören nicht nur zu den besten und gründlichsten Einführungen in Heidegger; ihr Verdienst besteht gerade darin, daß sie die sachlichen Grundlegungsprobleme moderner Philosophie in der Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Prinzip der Subjektivität aufarbeiten und damit in Grundfragen gegenwärtigen Philosophierens einführen. Wie schon der Untertitel «Sein und Wissen» anzeigt, geht es dabei um die grundlegende Neubesinnung auf das Wissen und Erkennen, das Heidegger als die Erschlossenheit menschlichen Daseins faßt und im Fortgang als das Ereignis der Unverborgenheit von Sein (aletheia) thematisiert. Erst vor diesem Hintergrund wird die revolutionäre Wende verständlich, für die Heideggers Denken im 20. Jahrhundert weltweit steht – eine Wende, die aus der neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität herausführt und an der Rückbesinnung auf die Grundlagen griechischer Philosophie das Feld künftigen Denkens neu eröffnet, wie Heidegger es dann in seiner späteren Kehre zum seinsgeschichtlichen Denken angeht.

Rudolf Brandner, Heideggers Begriff der Geschichte und das neuzeitliche GeschichtsdenkenHeideggers Begriff der Geschichte und das neuzeitliche Geschichtsdenken. 345 S., Passagen Verlag, Wien 1994.

Die Neuzeit erfährt sich als Wahrheitsgeschehen der «Aufklärung», das auch ihr Verhältnis zu geschichtlich vorangegangenen und interkulturell anderen Menschheiten bestimmt – zuerst als teleologisches Selbstbewußtsein des Wahren, dann zunehmends als nihilistischer Relativismus von Beliebigkeiten. Die Geschichtlichkeit des Erkennens wird zum Grundproblem der Philosophie, das nach Hegel seine tiefste und philosophisch bedeutendste Auseinandersetzung bei Heidegger erhält. In dieser Perspektive unternimmt es Brandner, Ursprung und Genese des Geschichtsbegriffs in der neuzeitlichen Grundlegung der Subjektivitätstheorie aufzuklären und seine systematische Funktion in der modernen Selbstverständigung philosophischen Denkens aufzuzeigen: Denn in ihr ist nicht mehr die Natur, sondern die Geschichte der maßgebliche Orientierungspunkt. So geht es Brandner weniger um inhaltliche Ausdeutungen der «Weltgeschichte» als um die Verdrängung von Natur in einem Geschichtsbegriff, der die Wahrheit zu einem Gattungsgeschehen sozialisiert, darin aber die physische Seinsverfassung von Natur in verhüllter Form wiederholt. Im Gegenzug dazu eröffnet Brandner den Ausblick auf ein gewandeltes Verständnis der geschichtlichen Wirklichkeit im Horizont physisch-kosmischen Seins, das die Grundlegung menschlichen Weltverhältnisses in Religion, Kunst und Philosophie thematisiert und als Befreiung des Menschen von der Negativität des Seins auf den Begriff zu bringen sucht.

Rudolf Brandner, Aristoteles Sein und WissenAristoteles. Sein und Wissen. Phänomenologische Untersuchungen zur Grundlegung wesenslogischen Seinsverständnisses. 463 S., Königshausen und Neumann, Würzburg 1996.

«Würde es Ernst mit der Philosophie, so wäre nichts würdiger, als über Aristoteles Vorlesungen zu halten», zumal «keinem Philosophen soviel Unrecht getan worden ist durch ganz gedankenlose Traditionen, die sich über seine Philosophie erhalten haben und noch an der Tagesordnung sind». Hegels Ausspruch verdankt sich keiner beliebigen Wertschätzung, sondern der Einsicht in die geschichtliche Erkenntnisbildung abendländischen Denkens: Das Verständnis des Seins als Wesen ist die Grundlage aller abendländischen Philosophie seit Sokrates und wird über Platon von Aristoteles zum «wesenslogischen Seinsverständnisses» ausgearbeitet, das bei allen internen Variationen bis heute als das maßgebliche Grundlegungsparadigma allen philosophischen Erkennens am Werk ist, wenn auch oft genug nur implizit in operationaler Unbewußtheit. Deshalb muß das philosophische Erkennen dort, wo es mit sich selbst ernst macht, auch seine eigene Bildungsgeschichte ausloten und die Grundlegung wesenslogischen Seinsverständnisses in ihrer eigenen sachlichen Wahrheit rekonstruieren. Im Gegenzug zu gängigen Verfahren philosophiehistorischer Interpretation erfordert dies die ganz andere methodische Einstellung und Disziplin einer phänomenologischen Hermeneutik, die als sachbezogene Methode geschichtlichen Erkennens die Durchführung philosophischer Grundlagenforschung übernimmt. Allein sie vermag die Wahrheit griechischen Denkens, die in Aristoteles ihre äußerste Vollendung erlangt und sich auch über die Jahrtausende hinweg bewährt hat, aufzuzeigen, um das moderne Denken aus den metaphysischen Selbstverstellungen neuzeitlicher Subjektivität wieder in den physisch-phänomenalen Welthorizont als dem maßgeblichen Ort der Klärung menschlichen Welttverhältnisses herauszuführen.

Rudolf Brandner, Natur und SubjektivitätNatur und Subjektivität. Zum Verständnis des Menschseins im Anschluß an Schellings Grundlegung der Naturphilosophie. 98 S., Königshausen und Neumann, Würzburg 2002.

Das Naturverhältnis, das die Moderne in Technik und Wissenschaft entfaltet, gründet sich auf das Prinzip sich selbst vergewissernder Subjektivität, die an der Negation von Natur ihr Freiheitsbewußtsein entfaltet und es im technologischen Befreiungsprojekt der umfassenden Entnegativierung physischen Seins umsetzt. Die ontologische Selbstverständigung menschlichen Freiheitsbewußtsein bleibt damit dem Auslegungshorizont christlicher Metaphysik überantwortet, wo es sich nicht in physikalischer Verdinglichung verballhornt. Schelling hat diese Aporetik modernen Freiheitsverständnisses zum ersten Male gesehen und durch die Einsicht in die Ununterscheidbarkeit von Ichspontaneität und Naturproduktivität aufgelöst, die den nihilistischen Wirklichkeitsentzug transzendentaler Subjektivität zu einem neuen ontologischen Selbstverständnis menschlichen In-der-Welt-seins vertieft, das an das vormetaphysische, griechisch-aristotelische Seinsverständnis des Menschen als eines Naturhaften anschließt. Seine naturphilosophische Dekonstruktion der transzendentalen Subjektivitätstheorie führt damit mitten ins Zentrum der Frage, wie sich das Natur- und Weltverhältnis des Menschen aus dem Selbstverständnis seiner Freiheit bestimmt und den geschichtlichen Nihilismus der Moderne begründet.

Rudolf Brandner, WeltverhältnisUntersuchungen zu Grundlegung und Ausbildung menschlichen Weltverhältnisses. Band I: Was ist Religion? 266 S., Königshausen und Neumann, Würzburg 2002.

Im Zentrum philosophischen Erkennens steht seit altersher die Einsicht in die ontologische Wesensverfassung des Menschseins, insofern sie mit der Einsicht in das Wesen des Seins zusammenfällt. Wo sich das Denken von der subjektivitätstheoretischen Selbstreflexion verabschiedet, wird es auch die Frage nach dem Menschsein wieder neu aufgreifen und an der geschichtlichen Wirklichkeit, die der Mensch sich selbst gibt, in grundsätzlich verwandelter Art und Weise stellen müssen: als Frage nach der Grundlegung und Ausbildung seines Weltverhältnisses. Der Mensch ermöglicht sich nur dadurch in der Praxis seines Weltverhaltens, daß er ein Verständnis allen Seins ausbildet; und es ist diese Herausbildung eines ursprünglichen Verständnishorizontes, die uns an der geschichtlichen Wirklichkeit menschlicher Kulturen zuerst als Religion begegnet, die ihre Wissens- und Erkenntnisweise an der Kunst: der dramaturgischen Inszenierung des Weltgeschehens, hat. Erst vor diesem Hintergrund kommt es in bestimmten geschichtlichen Welten zur Ausbildung eines rein denkend-erkennenden Selbst- und Weltverständnisses des Menschen, wie in der abendländischen Philosophie oder den indischen Denkschulen. An der Religion in ihrer Einheit mit der Kunst, dann der Philosophie und allem erkennenden Denken, haben wir die Grundlegungsbereiche menschlichen Weltverhältnisses; und es ist die Analytik dieser Grundlegungsbereiche menschlichen Weltverhältnisses, an der die ontologische Wesensverfassung des Menschseins als Einsicht in das Wesen des Seins selbst herauszuarbeiten ist.
Der erste Band: Was ist Religion? – versucht, an Religion und Kunst die soteriologische Befreiung von der Negativität des Seins als die ontologische Wesensverfassung des Menschseins herauszuarbeiten, die in allen geschichtlichen Welten nach dem jeweiligen Horizont ihres ausgebildeten Freiheitsverständnisses zur Praxis ihres Weltverhaltens umgesetzt wird.

Rudolf Brandner, Weltverhältnis Untersuchungen zu Grundlegung und Ausbildung menschlichen Weltverhältnisses. Band II: Aletheia und Moksa. Zur Differenz griechischen und indischen Denkens. 447 S., Königshausen und Neumann, Würzburg 2004.

Der zweite Band: Aletheia und Moksa - zeigt, wie diese soteriologische Befreiung von der Negatvität des Seins zur Sache des erkennenden Denkens wird und an der Differenz griechischen und indischen Denkens ihre unterschiedliche Ausprägung erfährt. Von daher übernimmt sich die geschichtliche Selbstbesinnung modernen Denkens in ein soteriologisch verwandeltes Selbstverständnis, das seine ursprüngliche Dimension als Grundlegungsinstanz menschlichen Weltverhältnisses in der philosophischen Thematisierung der Freiheit wiedergewinnt.


Rudolf Brandner, Ereignis «Mensch» Ereignis «Mensch».
Abriß elementarer Grundlagen philosophischen Wissens: Die Phänomenologie des Menschseins. 192 S., Königshausen & Neumann, Würzburg 2014.

Die «Untersuchungen zu Grundlegung und Ausbildung menschlichen Weltverhältnisses» gehen aus von der geschichtlichen Wirklichkeit des Menschen, um an ihr die We­sensverfassung des Menschseins aufzuzeigen, die sich an ihren Grundlegungs­paradigmen darstellt. Daraus entspringt nun in komplementärer Umkehrung die Aufgabe, diese an sich selbst als als Grund­la­ge der geschichtlichen Wirklichkeit des Men­schen zu rekonstruieren: Die phänomenolo­gi­sche Rekonstruktion der ontologischen We­sens­verfassung des Menschseins ist der nach den kan­ti­schen Vernunftkritiken und ihrer trans­zen­­dental­philosophischen bzw. dialek­tischen Fort­entwicklung (Fichte, Schelling, Hegel) so­wie Heideggers Existen­zial­ontologie und ihren De­rivaten unumgänglich erneuerte Versuch, mensch­­liche Wirklichkeit in ihren Grundlagen zu klären. Darin fal­len beide ineins - die anthropologische Per­spek­­­tive auf das Naturwesen «Mensch» und die fun­­damental­ontologische auf das «Sein selbst»: Denn al­les, was der Mensch wesentlich ist, ist er nicht von sich, sondern «von Natur her» (phy­sei). An der Wesensverfassung des Menschen of­fen­bart sich das Wesen des Seins selbst (physis). In Ereignis «Mensch» geht es deshalb zugleich darum, wie sich die «Phy­sis» am Menschen als Offenba­rungs­ge­sche­hen von Welt und Sein überhaupt ins Werk setzt.


Rudolf Brandner, Autistische Subjektivität Autistische Subjektivität. Zur Pathogenese modernen Erkenntnisverhaltens. 67 S., Königshausen & Neumann, Würzburg 2015.

Wie steht es um die geschichtliche Wirklichkeit der Freiheit, die das neuzeitliche Erkenntnisverhalten ins Werk setzt und als die modernen Daseinsverhältnisse realisiert? Um dem nachzugehen, bedarf es der Rekonstruktion der geschichtlichen Bildungsform, die sich das Erkennen im Übergang zur Neuzeit gibt und als die Praxis modernen Weltverhaltens entfaltet. Aus ihr resultiert die Einsicht nicht nur in die Patho-logik der modernen Verhältnisse, sondern auf prinzipiellerer Ebene auch in die Geschichtlichkeit des Erkennens: Die Ausbildung des Erkennens zum konkreten Weltumgang des Menschen entspringt im Hinblick auf die Befreiung von der Negativität des Seins und hat damit an der Freiheit ihren maßgeblichen Horizont, den das philosophische Denken immer wieder von neuem gegen seine dialektische Verkehrung in Unfreiheit auseinandersetzen und vor dem pathologischen Zerfall bewahren muß. Die Diagnostik der Pathogenese modernen Erkenntnis­verhaltens gibt damit zugleich den Blick frei auf eine grundlegende Erneuerung erkennenden Weltverhaltens und fungiert von daher als negative Einleitung in die Grundlegungs­problematik von Ereignis «Mensch» - der Überwindung autistischer Subjektivität.


Rudolf Brandner, Universit&aum;tsphilosophie Universitätsphilosophie. Zum Kollaps einer Bildungsinstitution. 101 S., Verlag Die blaue Eule Bd. 87, Essen 2015.

Es ist zum zeitgeschichtlichen Paradox geworden, daß die Philosophie innerhalb der maßgeblich durch sie «auf­ge­klär­ten» Welt der Moderne auf eine universitäre Mar­ginal­exi­s­tenz re­duziert ist. Warum ist das so – und welche Besinnung muß die Universitätsphilosophie selbst leisten, um sich als Bil­dungsinstanz des Menschseins zurückzu­gewinnen?

Inhalt : Die Aufhebung der Philosophie als Grundlegungsinstanz menschli­chen Weltverhältnisses - Die Vergeschichtlichung des philosophischen Grundlegungsanspruches - Die institutionelle Marginalisierung der Universitätsphilosophie - Der Zerfall der Universitätsphilosophie in den institutionellen Autismus - Zur Zukunft der Universitätsphilosophie - Anhang: Begriff und Bildungskonzept von Philosophie: Was Philosophie nicht ist - Woher die Philosophie kommt und was sie ist - Worin die philosophische Ausbildung besteht.

Rudolf Brandner, Über den Negativismus in der Kunst«Über den Negativismus in der Kunst» Band 1 von: Harald Herrmann, Hilum (3 Bände). Freiburg i. Brsg. 2018 (Rombach).

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Die geschichtliche Grunderfahrung der Moderne ist die metaphysische Leere des «Nihilismus». Sie zentriert alles moderne Kunstschaffen in der Dramatik substantiell und im Wesenskern verletzten Menschseins und verdichtet sich mitunter zu jenem thematischen Negativismus, der den Entzug alles Heilvollen, Befreienden und Erlösenden: die Unerlöstheit - ins Zentrum seiner Darstellung rückt. «Negativismus» meint also, daß Verzweiflung, Not und Zerrissenheit als Grundsituation geschichtlich heillosen Daseins zum maßgeblichen Thema künstlerischer Darstellung werden. Das Heilvolle, Ganze, Unverbrüchliche, Gelungene und Geglückte, Freie und Erlöste wird immer nur indirekt als Abwesen, Fehl und Mangel an Sein mit ins Bild gebracht. Wie vermag es der Negativismus in der Kunst, über sich hinaus zu verweisen?

Rudolf Brandner, Vom Geschick des Eros der ModerneMartin Wernert. Verfinsterung. Rudolf Brandner: Vom Geschick des Eros der Moderne. Zur Bildwelt von Martin Wernert. Meßkirch 2020 (Gmeiner-Verlag).

Das Lebensverlangen (eros) der Moderne geht auf die berechenbare Verständlichkeit und technologische Verfügbarkeit aller Dinge, um sich im Dinglichen zu erfüllen. Damit verliert der moderne Mensch alle Weltachtung und das Geheimnis des Seins selbst. Im Verlust des Geheimnisses zerstört sich der Eros des Lebens: Denn der Eros des Lebens lebt aus und von dem Geheimnis des Seins – wo kein Geheimnis, dort versiegt auch alles tiefere Verlangen und wird zur Begierde gegenständlichen Konsums, darin sie sich verbrennt (consumat). Daher die Gebrochenheit des modernen Menschen, der geheimnislos seiner selbst entfremdet sich wesenlos im Schwund allen Weltgefühls, aller religiösen Weltachtung in Kunst und Philosophie dahinwest. Doch vermag es Kunst, den Menschen an die Wahrheit seines Seins zu erinnern?

Rudolf Brandner, Die Ideologie der Menschenrechte und das Ethos des MenschseinsRudolf Brandner: Die Ideologie der Menschenrechte und das Ethos des Menschseins.

Die westliche Moderne kennzeichnet bis heute ein langer, widersprüchlicher Prozess um die Statuierung der Menschenrechte. Es waren die schrecklichen Erfahrungen mit den Totalitarismen des letzten Jahrhunderts, die schließlich den Diskurs darüber in eine weitest gefasste, abstrakte »Erklärung« goss. Abgeleitet allein aus seinem elementaren, nackten Menschsein sollte die Würde des Einzelnen durch Rechte mit unbedingtem, universellem Geltungsanspruch garantiert werden. Diese verabsolutierende Sakralisierung der Menschenrechte forcierte zum einen die zunehmende Verdrängung des Politischen durch eine sich universell verstehende Moral in den westlichen Gesellschaften, was – wie sich heute gut sehen lässt – zu einem im tiefer gehenden Konflikt zwischen dem Einzelnen und dem Staat, der Gemeinschaft als ethischem, kulturellem Gebilde, führte. Zum anderen verschärfte sie, nach außen getragen, als eine neue Form imperialistischen Anspruchs den ideologischen Konflikt zwischen den Kulturen. Wobei der Westen, der auf der gleichzeitigen Entwicklung von Wissenschaft und Kapitalismus gründet, sich stets auf sein ausgeprägtes liberales Demokratieverständnis beruft und vor allem globale Ökonomisierung meint. Letztlich zielen beide Ausrichtungen mit der Ideologisierung der Menschenrechte auf ein supranationales Konstrukt als eine Art »Welteinheitsstaat« ab. Der Philosoph Rudolf Brandner hat in einem ersten großen Abschnitt seines souverän vorgetragenen Essays die Widersprüche des Menschenrechtsdiskurses in all ihren geschichtlichen und kulturellen Verästelungen großräumig dargelegt. In einem zweiten Teil geht er stets anschaulich auf die ethischen, rechtlichen und politischen Implikationen ein. Der ethische Gehalt der Menschenrechte wird dabei nie in Frage gestellt – sehr wohl aber wird ihre ideologische Rechtfertigung, die tiefe Einsichten in die geschichtliche Verfasstheit moderner Gesellschaften und ihres Freiheitsverständnisses gewährt, scharf in den Blick genommen (Horst Ebner).